Reparieren. Der Spass, die Maschinen zu verstehen.

Prolog

Eskalationsstufe 1: Das Ding tut nix oder macht schreckliche Geräusche oder wird heiss, raucht, stinkt.
Es ist immer das gleiche. Aber die Ursachen sind grundverschieden.
Klare Sache: Der Staubsauger steigt aus, kurz bevor die Gäste kommen.
Der Reiskocher gibt auf, wenn er auf dem Buffett im Wohnzimmer steht und wir 12 Gäste da haben.
Der Lichtschalter im Auto bricht ab, wenn wir auf dem Rücksitz nach dem iPod suchen.
Das Mousekabel hat einen Wackelkontakt, wenn mein Sohn zur LAN-Party aufbricht. Achtung! Keine übliche Mouse. Gamermouse!
Warum fliesst Wasser unten aus dem Kühlschrank?
Warum macht die Panasonic-Kompaktkamera dunkle Flecken aufs Bild?Und warum steigt das Verlängerungskabel des Rasenmähers um Dreiviertel Zwölf aus? (Um 12 wäre ich fertig geworden. Pünktlich zur Mittagspause.)

Die Liste der kleinen und grossen Defekte ist endlos. Zumindest bei uns zuhause. Und es ist verdächtig, dass ich genau in dem Moment auftauche, wenn gerade etwas im Haushalt kaputt geht. Wissen die Maschinen, dass ich sie reparieren kann? Denn ich fühle mich angesprochen. Ja, ich kann helfen. Ja, es macht mir Spass. Und ich möchte die Dinge erhalten, nix wegwerfen.

Eskalationsstufe 2: Der unverzichtbare Helfer muss sofort ersetzt werden. NEIN. Nerven bewahren.

Lerne die Reparatur und die Reklamation zu lieben.

Hier muss jeder erstmal lernen Geduld und Zeit und Liebe für die Details der Katastrophe mit zu bringen: Leihe Dir ein Ersatzgerät vom Nachbarn. Schmeisse das defekte Teil nicht einfach weg. Beschäftige Dich mit der kranken Maschine.

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Der Staubsauger

Ich finde heraus, dass es einen Motorfilter im Staubsauger gibt. Wenn der nicht richtig sitzt und ich den Koffer nach dem Atlantik-Urlaub aussauge, wird der Sand in den Motor geblasen und zerstört den Kollektor, die Lager… Und die Flammen, die dann aus dem Motor kommen sind ganz normal. Fehlbedienung sagt der Kundendienst. Ich müsse nur mit einer Papierschere aus dem, den Staubsaugerbeuteln beiliegenden Filtervlies, einen neuen Motorfilter zuschneiden. Klar. Das ist es, was ich und meine Putzfrau täglich so gerne machen: Filter ausschneiden. Das Gitter irgendwie losmachen. Den neuen Filter richtig rum reinlegen und das Gitter wieder einschnappen lassen. Wenn das Vlies nur um einen Millimeter verrutscht, war alles umsonst. Schädliche Partikel, z.B. Sand, geraten in den Motor und zerstören ihn.

Die Garantie ist natürlich grad abgelaufen. Früher waren die Geräte nicht so anfällig und robuster konstruiert. Wir hatten einen 30 Jahre alten Protos

Genau den hatte meine Grossmutter.

von Siemens. Meine Grossmutter hat ihn nicht hergegeben, selbst als sich das Museum für das Retroteil interessierte. Ehrlich.

Durchatmen.

Weil ich mich für das Innenleben und das Weiterleben von Geräten interessiere, schraub ich den Sauger auf. Mit ein paar Handgriffen ist das Ding zerlegt. Der Motor riecht nach Hexenverbrennung (#womenexcuseme).Ich lerne auf der Hotline, dass ein Ersatzmotor 160 € kostet. Ich google. Den Motor gibt es bei AliExpress direkt aus China für 5.5 $.

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Ich muss aber 1000 Stück abnehmen und der Hersteller, der wohl auch Miele beliefert, beruhigt mich, dass er bis zu 4 Mio. Stück pro Jahr liefern könnte. Ich verzichte darauf ein Sample zu bestellen (eigentlich eine geile Idee), denn das kann bis zu 6 Wochen dauern. Genervt baue ich den Staubsauger wieder zusammen und schicke ihn auf Wunsch der Miele-Hotline nach München. Es folgt ein weiteres Telefonat. Ich bin enttäuscht von der Qualität von Miele-Staubsaugern. Ich werde belehrt (Motorfilter regelmässig reinigen und checken!). Ich reagiere säuerlich. Weil ich mich auch noch über die Ersatzteilpreise aufrege, bietet man mir schliesslich 40% auf ein Neugerät. Ich schlage ein. Deal. Zurück bleibt mein alter, geliebter Miele-Sauger: ein fetter Haufen Plastik, der mit einem Motor für 5.5 Dollar plus Versand wieder fit wäre.
Zurück bleibt auch ein schales Gefühl. Und gleichzeitig auf der anderen Seite der digitalen Theke, ein Hurra! Der Handel hat wieder einmal über Nachhaltigkeit und Werterhaltung gesiegt. Und ein Altgerät ist aus dem Verkehr gezogen. Endlich Platz für neue Produkte. Endlich Futter für die Recyclingindustrie. Endlich Futter für die Verbrennungsanlage.

„Siehst Du Sebi. Eine Reparatur lohnt sich nicht.“
Gestatten, dass ich abkotze?
Klar. Die Ersatzteile sind so teuer, dass das den Neupreis übertrumpft.

Trotzdem, ich muss zugeben: Der neue Staubsauger ist mega-lässig. Echt hohe Saugkraft. Und ich lecke wöchentlich persönlich den Motorfilter sauber.

Aber ich lasse mich durch solche Rückschläge nicht unterkriegen.

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Der Reiskocher

Ach ja.
Deshalb die Episode mit dem Reiskocher.
Ich halte einen Fachvortrag (für meine Töchter), wie ein Reiskocher funktioniert, aber trotzdem rät man mir ihn weg zu schmeissen. Er hat tatsächlich gerade noch eine komplette Ladung Jasminreis perfekt gekocht. Wir haben Gäste. Die zweite Ladung Reis. Nix. Ungare Körner dümpeln im kalten Salzwasser. Gehts noch?

Das Ding ist tot. Was? DER REISKOCHER. Weiterer Reis wird jetzt im Kochtopf gegart. Schmeckt schon anders.

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Als die Gäste abgereist sind, öffne ich das Gerät. Unter dem Etikett ist eine Schraube versteckt, damit nicht jeder das Ding einfach aufschraubt. Logisch. Und dann muss man mit einem dünnen Plastikspatel die Kunststoffnasen zusammendrücken. So lässt sich der Boden des Kochers schnell abnehmen. Mit dem Phasenprüfer finde ich heraus, dass die Thermosicherung durchgebrannt ist. 20 Sicherungen kosten bei ebay 2.95 €. Mit etwas Alufolie überbrücke ich das thermosicherungen-sebiturbo-c-17Teil (#donttrythisathome) und der Reiskocher arbeitet wieder einwandfrei. Ich habe also mit einer halben Stunde Arbeit und einem 15Cent-Teil das Leben des Kochers nachhaltig verlängert. Und es fühlt sich sehr gut an. Weil ich nicht will, dass unser Haus abbrennt, wegen einer  geflickten Sicherung, bestelle ich das Päckchen Thermosicherungen und baue sie, mit zwei Lüsterklemmen, bei denen ich die Plastikummantelung entfernt habe, wieder ein. Ich darf sie nicht anlöten, denn bei 192 Grad löst sie aus und dann ist wieder eine neue fällig.

Diesmal bin ich der Held. (#sebiturboheld) Und nicht die Industrie. Ich gehe davon aus, dass jährlich Millionen von Reiskochern auf dem Schrott landen, obwohl nur dieses kleine Teil durchgebrannt ist. Klar. So kann man mit einen Planeten nicht umgehen. Aber wir haben ja 2-3 Ersatz-Erden in den Entwicklungsländern, sagt Harald Lesch.

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Der VW-Touran Lichtschalter

In meinem VW-Touran (Markenzeichen „geliebte Dreckschleuder“) ist der kleine Plastikknopf ab, mit dem man hinten, oben das Licht einschaltet abgebrochen. Ich habe ihn leider nicht aufgehoben und fotografiert, weil er plötzlich einfach weg war. VORHER

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Ich erspare Euch die ausführliche Geschichte, aber.
Wenn man sich das Teil ganz genau anschaut.
Wenn man weiss, dass es diesen Dreh-Knopf bei VW nicht als Ersatzteil gibt, weil man eine neue Leuchte für 116 CHF kaufen soll (AMAG-CH).
Wenn man sich das Teil ganz genau anschaut…

Dann fällt die Ähnlichkeit zu einem Leitkiel bei der Carrera-Autorennbahn auf. Ja das kleine schwarze Teil, das die Spielzeugautos auf der Ritze (Slot) hält. Deshalb heissen die Autos auch Slot Cars (unter Profis).

Es hat mich 5 Tage schweres Überlegen gekostet, das herauszufinden. Ich habe aus Jakobs Modellauto (einem Slotcar eben) diesen Leitkiel ausgebaut und mit der Eisensäge den Schlitz um 2 mm tiefer geknabbert und rechts  oben den „Griff“ um etwa 4mm abgefeilt.

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Dann habe ich einfach mit einem leisen Klick das Ding einrasten lassen. Wo? In dem Loch in der Mitte von der VW-Touran-Leuchte. Is doch logisch. Seitdem funktioniert meine hintere Innenbeleuchtung wieder grandios. Der Leitkiel? Abstruse Sache. Aber er passt eben 100%ig als Drehknopf. Ihr könnt es euch noch heute im Touran angucken. Wait, noch ein Foto. Hier: NACHHER

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Zugegeben eine sehr coole Lösung. Billig, nachhaltig, phantasievoll. Jetzt soll mal jemand sagen, dass Reparieren keinen Spass macht: Investierte Zeit fürs Nachdenken, 5 Stunden. Fürs Anpassen und Einbauen, 5 Minuten.

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Die Gamermouse

Den Wackler an der Computer-Gamer-Mouse haben wir gelötet. Fummelei, aber geht wieder. Man muss sich nur trauen und das kaputte Stück vom Kabel abschneiden. Weil man die Ministecker nur mit einer Spezialzange dranmachen kann, haben wir die alten Enden verwendet und das heile Restkabel dran gelötet.  Dann mit Schrumpfschlach und Isolieband versorgt. Vorne ist der 4-polige Stecker (weiss) gut zu sehen. 

Der Kühlschrank leckt

Das Wasser, das aus dem Innern des Kühlschrank vorne raus fliesst, nachdem ein Teil in die Gemüseschublade gelaufen ist (Sauerei-wir waren im Urlaub), kommt vom verstopften Ablaufloch, durch das das Wasser, das an der Rückwand (innen) herunter rinnt, nach hinten normalerweise abgeleitet wird (was für ein Schachtelsatz-kann man das verstehen?) Dass das ganze dann auf einer Metallpfanne landet die durch die Wärme des Kompressormotors erhitzt wird, um das Wasser zu verdunsten, das erspare ich euch. Aber auch hier gibt’s ne schnelle Lösung:

Man nehme drei McDonalds-Stohhalme und stecke sie ineinander. Oder so einen Ballermann-Sangriaeimer-Langhalm. Das, was ihr einfacher beschaffen könnt, nehmt ihr. Den Rüssel steckt ihr ins Loch und pustet das Loch frei. Geht auch notfalls mit einem hölzernen Esstäbchen vom Chinaimbiss. Aber kein Metall, keine Messer etc.! Manche Kühlschränke haben dort so einen eingebauten versifften Wackelstab, mit dem man das Loch freirubbeln soll. Mit ein bisschen Schimmelkiller (Gibt es auch ohne Chlor BIO) nachputzen und schon ist das Rinnsal gestoppt und die Plörre tröpfelt wieder auf die Pfanne hinten, unten (eigentlich wiederlich, aber der Kühlschrank muss mit diesem primitiven Trick eben NIE abgetaut werden.).

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Warum geht denn dauernd was kaputt? Weil ich gerne billige Massenprodukte kaufe. Schnäppchenjäger werden schon mal gerne bestraft. Bestes Beispiel:

Das Rasenmäherkabel

So ein Rasenmäherkabel (oder auch auch ein anderes Verlängerungskabel) hat einen angeschweissten (eigentlich angebackenen) Stecker (männlich) und eine angeschweisste Kupplung (weiblich). Meist brechen vom Aus-und Einstecken und Rummfummeln irgenwann die Kuper-Kabeladern  innen, gleich nahe an der Kupplung. Weil die Teile gebacken sind, kann man sie nicht aufschrauben und reparieren. Beides (Männlein und Weiblein) kannst Du auch einzeln im Baumarkt kaufen oder auf ebay bestellen. Einfach die defekte Stelle suchen und das Kabel davor abschneiden. Achtung vorher ausstecken. Und dann die neue Kupplung dranschrauben. Dabei beachten, dass es Kabel-Farben und Funktionen in der Welt der Elektrik gibt. Das kann man alles nachlesen. Oder man macht das zum ersten Mal mit einem Freund, der Elektriker ist. Wenn du Dir nicht sicher bist. Finger weg.

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Die Kellertür

Jeder Defekt ist eine neue Herausforderung und man muss unvorbelastet und mit logischem Denken und detektivischem Scharfsinn dran gehen. Oft wird einem auch der falsche Tipp gegeben. Und dann ist es vielleicht nur eine Kleinigkeit, wie bei meiner Nachbarin. Ihre Kellertür zum hinteren Aussenaufgang schloss nicht mehr so richtig. Man riet ihr eine neue Tür beim Schreiner zu bestellen.

Ich habe zwei Fitschenringe in die Bänder untergelegt, so dass die Türe 2mm höher kam. Jetzt schliesst sie wieder zu 100 % und meine Nachbarin hat 1600 CHF gespart. Ist doch was, oder?

Was sind Fitschenringe? Was sind Bänder? Finde es raus, verdammt nochmal.

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Epilog: Den Kamerachip putzen

Und das mit der Panasonic-Kompaktkamera bin ich Euch noch schuldig geblieben. Fragt einfach meine Tochter Lilith, denn sie hat im Alter von 10 Jahren mit dem Uhrmacher-Schraubenzieher die komplette Optik aus der Kamera ausgebaut und mit einem Luftpinsel (pffft, pffft) den Aufnahme-Chip in der Kamera vom Staub befreit. Denn Staub auf dem Chip gibt scheussliche unscharfe Flecken auf euren Bildern.

Das Ganze dauerte 20 Minuten, obwohl uns der Mann (ohne nachzudenken und zu atmen) beim MediaMarkt gesagt hatte „WegschmeißenReparaturlohntnicht“. Die schwarzen Flecken auf den Bildern sind verschwunden und der stolze Vater ist happy.

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Trau dich ans nächste Projekt und repariere den Kram! Bitte.

 

Ich möchte euch hier am Schluss meine absolutes Lieblingsbuch zum Thema empfehlen.
Wolfgang M. Heckl ist der Chef vom Deutschen Museum in München.
In diesem Museeum habe ich meine Kindheit und meine Jugend verbracht.

Froinde. Wenn ihr über die Digitalisierung der Welt nachdenkt, dann lohnt es sich zum Cray (in der EDV-Abteilung des dt. Museums) zu pilgern und profilaktisch einen Kranz nieder zu legen. Ehrfurcht wem Erfurcht gebührt.

Man kann sich auf die sechseckige Sitzbank des Cray aus braunem Skyleder setzen und losschmökern. Unten. Die Verdratung des Cray. Für Freunde der kalten Lötstelle…

So sieht es im Cray aus. Tausende von Platinen sind hier verdrahtet Mit dem Lötkolben. Der Cray kostete in den Siebzigern 8.5 Mio. Dollar.

Autor: sebiturbo

Digital Strategist Projects world wide #Recognize #Reduce #Reuse #Repair #Recycle #Restructure #Rethink #Reorganize #Recognize

2 Kommentare zu „Reparieren. Der Spass, die Maschinen zu verstehen.“

  1. Ja, da ist viel wahres dran… Und einer geht noch: Beim Lampenwechsel am Auto flutschte mir die kleine fiese Klammer fort, die die H7-Lampe im Scheinwerfer hält. Hüpfte irgendwo in die Tiefen des Motorraums. Materialwert ca. 10 Cent. Dann beim Alfa-Händler die fiese Überraschung: Klammern gibts nur komplett mit Scheinwerfer. Preis ab 170 Euro. Fluchen, rausgehen, nachdenken. Dann für einen Euro Blumendraht kaufen. Hält tadellos 🙂

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    1. Das ist typisch. Mir hupfte in der Parkgarage der Ausfahrjeton aus Metall in meinem historischen Mini (BJ 1963) irgendwo in die Ablage. Weg. Nach der Zahlung von 60 DM (Du siehst das ist eher ein alte Geschichte) bekam ich einen neuen Jeton. Dann. 6 Tage später. Plötzlich Blitze unter dem Zündschloss. Weisser Qualm. Kabelbrand. Der Jeton hatte den offenen Kontakt des Starters mit der Masse verbunden. Der Jeton schweisste sich fest, Ich konnte gerade noch die Batterie vom Auto trennen. Das Auto war dann Totalschaden. Neuer Kabelbaum mit Einbau 3.500 DM.

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